Praxiseinblicke aus dem Buch

TRANSFORMATION EINER WELTWEIT AGIERENDEN NON-PROFIT-ORGANISATION

                                                                    

Nehmen Sie uns mit zurück zum Anfang der Geschichte. Wie war die Ausgangssituation?
MOGGE: Im Jahr 2013 war der Programmbereich in Regionalteams aufgestellt. Projekte, die wir in unseren Partnerländern umgesetzt haben, wurden noch zu einem gewissen Maß zentral aus Deutschland durch Regionalreferate gesteuert. Dabei umfasste die Steuerung u. a. Finanzen, Akquise von Gebermitteln, technische Unterstützung und natürlich die Betreuung des Personals in den Ländern. Die zuständigen Länderreferenten haben insbesondere bei der Einwerbung von Finanzmitteln von Gebern eine ganze Palette von Förderrichtlinien und administrativen Vorgaben von Gebern abdecken müssen – ohne jegliche Spezialisierung auf z. B. einen Geber wie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Uns wurde aber zunehmend klar, dass wir, um zukünftig mit unserer Arbeit weiterhin wirksam zu sein, in Deutschland mehr spezialisierte Fachexpertise benötigen würden und gleichzeitig mehr Entscheidungskompetenz in die Länderbüros vor Ort verlagern müssen.

Sie haben also von innen heraus den Veränderungsdruck gespürt und haben gehandelt?
MOGGE: Nicht nur. Zusätzlich gab es auch konkreten Druck durch die Ansprüche der institutionellen Geber. Diese haben z. B. sehr unterschiedliche administrative Anforderungen und regionale Strategien mit jeweils verschiedenen thematischen Schwerpunkten.

Wie haben Sie auf diese Herausforderungen konkret reagiert?
MOGGE: Wir haben entschieden, unsere Arbeitsweise grundlegend zu ändern und die mitarbeiterstarken Regionalgruppen in Deutschland zugunsten kleinerer Regionaldirektionen mit drei bis vier Mitarbeitenden aufzulösen. Das bedeutete, auch den Verantwortlichen in den Ländern – den Länderdirektor:innen – mehr Verantwortung zu geben. Den ehemaligen Länderreferenten in Deutschland wurden in neuen spezialisierten Fachbereichen Stellen angeboten, welche die Expertise für einzelne Fachthemen, einzelne Geber, für die Nothilfe oder für Kapazitätsaufbau im Finanzbereich bündelten.

Wie sind Sie dabei vorgegangen?
MOGGE:
Wir haben vor einigen Jahren eine Reorganisation durchgeführt, die rückblickend nicht so erfolgreich war wie erhofft. Dennoch haben wir daraus unsere Lehren gezogen und wollten die gleichen Fehler nicht noch einmal machen. Begonnen haben wir dieses Mal damit, dass wir uns als Organisation gemeinsam mit Mitarbeiter:innen in einem einjährigen Prozess ein tiefes Verständnis angeeignet haben, wie sich die Rahmenbedingungen für internationale Nichtregierungsorganisationen verändern werden und welche langfristigen Trends auf diese Organisationen Einfluss haben werden. Dabei war unsere Perspektive, nicht die kommenden zwei bis drei, sondern vielmehr die nächsten zehn Jahre in den Blick zu nehmen, um daraus mögliche Szenarien für uns abzuleiten. Gleichzeitig haben wir auch eine Untersuchung zur Wirksamkeit unserer Außenstruktur durchgeführt, die uns aufzeigte, wo die Schwächen der alten Struktur für die Umsetzung vor Ort waren.

Was ist Ihnen an dieser Stelle mit Blick auf die anstehende Veränderung klar geworden?
MOGGE: Mit diesem besseren Verständnis langfristiger Umfeldveränderungen und einem für uns als realistisch erscheinenden Szenario haben wir im damaligen Vorstand diskutiert, welche Veränderungen notwendig sind, um dieses Szenario mit Leben zu füllen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Immer mehr Geber haben mittlerweile Fachpersonal vor Ort und erwarten auch von einer Nichtregierungsorganisation eine hoch professionelle Abwicklung der Projekte, von der Antragstellung bis zur Evaluation und Berichtserstellung. Dafür braucht es starke Strukturen vor Ort und hohe Entscheidungskompetenz. Es entstand ein sehr konkretes Zielbild für uns, wohin wir uns wie bewegen müssen. Uns war klar, dass wir umsteuern müssen, um den Anforderungen des Umfeldes, aber auch den Ansprüchen an uns selber besser gerecht zu werden. Auch wussten wir, dass diese Umsteuerung nicht eine simple Verbesserung und Anpassung dessen ist, was wir schon heute machen, also hier eine Prozessoptimierung und da eine Fortbildung. Wir mussten Grundlegendes infrage stellen und neu denken.vNun war Ihnen im Vorstand klar, dass sich etwas ändern muss.

Wie haben Sie diesesBild anderen vermittelt?
MOGGE:
Mit dem Zielbild, am Anfang noch sehr grob, haben wir uns auf den Weg gemacht. Wir haben in die Organisation hineingehört, gefragt, wie diese Ideen ankommen und wie man die Umsetzung angehen müsste. Wir haben mit dem Präsidium, den restlichen Vorstandsmitgliedern und mit einigen Führungskräften gesprochen, um zu klären, ob wir genügend veränderungsbereite und innovationsfreudige Kolleg:innen haben, um gemeinsam eine weitreichende Veränderung auf den Weg zu bringen. Wenn man ganz am Anfang schon keine Unterstützung von den zentralen Akteuren der Organisation bekommt, droht eine solche Initiative schnell an irgendeiner Stelle zu scheitern. Nach den ersten Gesprächen haben wir weitere Personen mit in die Gespräche einbezogen und den Kreis sukzessive erweitert.

Wie haben die Gesprächspartner reagiert?
MOGGE:
Alle beteiligten Akteure analysierten die Situation ähnlich. Und schließlich haben wir dann die Entscheidung für die neue Fachstruktur mit spezialisierten Mitarbeitenden in Deutschland und damit einhergehend die Förderung mit einer starken Dezentralisierung mit entsprechender Entscheidungsgewalt getroffen.

Wie sind Sie nach der Entscheidung dann bei der Umsetzung vorgegangen?
MOGGE:
Wir haben es in Etappen gemacht. Zunächst blieb das einmal verstandene Zielbild unverändert. Bei den betroffenen Mitarbeiter:innen waren natürlich nicht alle sofort begeistert, auch wenn sie den eigentlichen Beweggrund für die Veränderung nachvollziehen konnten. Aus früheren Veränderungsprozessen hatten wir gelernt, dass man nicht gut beraten ist, wankelmütig zu werden und Widerständen zu schnell nachzugeben. Wenn man wirklich eine größere Veränderung umsetzen will, braucht es auch eine gewisse Radikalität im Denken, um nicht direkt umzukippen und genügend Überzeugungskraft. Daneben stand als zweiter zentraler Aspekt der ko-kreative Teil – also die Ausgestaltung des Zielbildes durch die betroffenen Mitarbeitenden. Wir haben Arbeitsgruppen gegründet und diese haben die Aufgabenbeschreibung der neuen Abteilungen und der neuen Arbeitsteilung erarbeitet. Der Prozess war nicht konfliktfrei, hat aber schließlich dazu geführt, dass wir bei der eigentlichen Umstellung der Organisation dann sehr schnell arbeitsfähig wurden und nur noch wenige Anpassungsbedarfe hatten.Ein ergänzendes Element war, dass wir uns Guiding Principles für die Gestaltung dieses Veränderungsprozesses gegeben hatten: Vereinbarungen wie wir im Laufe des Prozesses vorgehen, reflektieren und miteinander umgehen. Sie haben uns durch den Prozess navigiert und sehr geholfen, denn sie gaben uns immer wieder die nötige Orientierung.

Welche Rolle spielten Führungskräfte in dem Prozess?
MOGGE:
Zunächst waren die aktuellen Führungskräfte Teil der Arbeitsgruppen, die gemeinsam mit den Mitarbeiter:innen Verantwortung für die Ausgestaltung des Zielbilds übernommen haben. Nachdem wir die Grundstruktur geklärt hatten, haben wir sehr schnell ein neues Führungsteam zusammengestellt, noch bevor die neue Struktur zum Tragen kam. Dieses Team ist dann neben ihren alten Rollen in die Verantwortung für die detaillierte Ausgestaltung und später für die Umsetzung der Veränderung gegangen. Dass die neuen Führungskräfte schon im Vorhinein klar waren und sie bereits ihre Rolle eingenommen hatten, hat verstärkt, dass wir nach Bekanntgabe und Scharfschalten des Prozesses direkt loslegen konnten und es keinen Leerlauf gab. Ich kann mich erinnern, es gab damals einen Workshop im Spätsommer 2014. Ich habe mich mit den designierten Führungskräften zusammengesetzt und gesagt: „Wir sind die Gruppe, die das rocken muss, die Probleme überstehen muss, mit Schwierigkeiten am Anfang zu kämpfen hat.“ Dieses Treffen hat uns als neuen Führungskreis zusammengeschweißt und in den ersten zwei bis drei Jahren sind wir oft auf dieses Treffen zurückgekommen.

Wie wurde die Transformation kommunikativ gestaltet?
MOGGE:
Für uns war in der Kommunikation der entscheidende Aspekt, das „Warum“ und das neue Zielbild zu kommunizieren. Und um das zu tun, hatten wir irgendwann eine Art Standardpräsentation, das Warum stand immer ganz am Anfang. Nie das Wie oder Was. Unsere Kommunikationsarchitektur bestand aus verschiedenen Formaten, von Informationen beim Mittagessen bis zu Betriebsversammlungen, auch international, aber die Geschichte war immer die gleiche. Wichtig ist sich über den Wert dieses Kontaktes im klaren zu sein. Die Menschen in der Organisation müssen laufend einbezogen werden.

Haben Sie noch etwas getan, um diese neue Struktur zu stärken?
MOGGE:
Wir haben eine fundamentale Veränderung mit einem Global Leadership Team, zu dem die Außenstrukturen und Innenstrukturen gleichberechtigt gehören; da wurde Augenhöhe geschaffen. Diese Struktur wird auch so gelebt und wir versuchen, dies über unsere Virtual Leadership Konferenzen, die wir jetzt drei- bis viermal im Jahr haben, auch ganz bewusst anzunehmen. Früher hatten wir Führungskräfte-Dialoge hier in Deutschland, dann einmal im Jahr ein Treffen mit dem Ausland. Heute besprechen wir alle möglichen organisationalen Themen in der Konferenz, die mit ca. 50 Personen ziemlich groß ist. Wir haben die Erfahrung gemacht: Wenn man so eine Form über einen längeren Zeitraum praktiziert, entwickeln sich dabei Augenhöhe und ein Teamgeist. Wenn Sie zurückblicken, welches waren die größten

Herausforderungen, die Sie zu bewältigen hatten?
MOGGE:
Man kann sich natürlich niemals vorher sicher sein, dass man den richtigen Zeitpunkt
und das Signal klar ausmacht. Ganz am Anfang steht das Erkennen des Problems, der Verbesserungsmöglichkeit. Das sagt sich leicht, aber ist eine riesige Kunst, dazu in der Lage zu sein: das Ungedachte zu denken, das Unbequeme auszusprechen. Und es braucht einen anderen, der vielleicht nicht selbst darauf kommt, aber sich auf den Gedanken einlässt. Ich finde es schwer, das Ungedachte zu artikulieren oder überhaupt darauf zu kommen, dass man die Dinge auch ganz anders machen kann. Und am Ende hilft es dann, wenn man Entscheidungen trifft, anstatt zu lange zu zaudern.

Woran erkennen Sie heute, dass die Transformation erfolgreich war?
MOGGE:
Es ist immer interessant, wenn man merkt, dass niemand mehr über die Vergangenheit spricht. Dann ist es tief angekommen im System. Es kann sich keiner mehr vorstellen, dass wir ohne die jetzigen Strukturen und Funktionen auskommen, und es würde auch heute keiner mehr darauf kommen, dass man mit drei Leuten nicht acht Landesbüros steuern kann. Bei den Spezialisten merkt man den Erfolg der Transformation sehr deutlich in der Zusammenarbeit mit den institutionellen Gebern, da wir jetzt viel besser verstehen was sie von uns verlangen. Durch die neue Struktur hat sich eine sehr intensive Beziehung zu den einzelnen Gebern entwickelt, die früher so garnicht hätte entstehen können. Dadurch ist auch eine ganz neue Informationsaufbereitung und -weitergabe möglich. Das macht uns tatsächlich in dem Bereich ziemlich erfolgreich. Wenn man sich die letzten Jahre der Entwicklung der Welthungerhilfe ansieht, kann ich rückblickend sagen, dass ein großer Teil des Erfolgs einerseits auf diese Spezialisierung, andererseits auf die Stärkung der Außenstrukturen zurückzuführen ist.

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