Praxis-einblicke aus dem Buch

Veränderung ohne Plan B, Transformationserfahrungen in einer Großbank

                                                                    
Nehmen Sie uns mit an den Anfang Ihrer Transformation: Wie ging alles los und wie
waren die ersten Reaktionen?

ZASADZIN:
Die Entscheidung wurde durch unseren globalen CEO getroffen, der sagte:
Wenn wir uns jetzt nicht flexibler aufstellen, sodass wir auch schneller agieren können, werden wir als Bank nicht überleben. Allerdings ging es uns in dieser Zeit, insbesondere in Deutschland, mit der ING sehr gut. Menschen zu erläutern, dass sie sich in erfolgreichen Zeiten verändern müssen, ist nicht einfach.

STENGER: Die meisten haben geglaubt, dass sich bei der ING Deutschland nicht viel verändern wird. Die Vorstellung vom Ausmaß der Veränderung war bei vielen nicht greifbar – inklusive mir selbst. Erst durch das konstante Dranbleiben unseres globalen und lokalen CEOs wurde den meisten bewusst, dass wir es ernst meinen.

Wie wurde die Dringlichkeit für den Wandel vermittelt?
ZASADZIN:
Wir hatten zu Beginn vor allem viele Videos, welche die Notwendigkeit sich zu
verändern, demonstriert haben. Es sind heute nicht mehr nur Banken, mit denen wir konkurrieren.
Auch Fintechs und IT-Riesen sind unsere Wettbewerber – und diese sind bereits agil
und sehr kundenorientiert unterwegs. Hier dürfen wir nicht den Anschluss verlieren.

Wie wurden die Menschen in Veränderungsbewegung gebracht?
ZASADZIN: Bei der ING Holland wurde ein agiles Team geschaffen, das zwei Jahre experimentieren,
neue Arbeitsweisen ausprobieren und weiterentwickeln konnte. Da sich das
agile Arbeiten bewährt hatte, beschloss man, die agile Transformation weltweit bei der ING umzusetzen. Jedes Land hat ein Transformationsteam gebildet, das dann nach Holland gereist ist, um sich in Agilität fit zu machen. Auch konnten diese Teams in Holland schon sehen, was es bedeutet, agil zu arbeiten.

STENGER: Als wir in Deutschland zurück waren und klar war, dass auch wir agil arbeiten werden, wollten wir alle Beteiligten frühzeitig einbinden und mitnehmen. Daher haben wir unter anderem ganztägige Veranstaltungen ins Leben gerufen, bei denen jeder Mitarbeitende das Thema Agilität in seinen vielen Facetten erleben konnte. Auch haben wir in der gesamten Bank immer wieder an populären Plätzen Informationen platziert, beispielsweise in der Kantine oder im Fahrstuhl. Generell war unser Ansatz, immer einen Impuls zum Thema Agilität zu geben und danach die Mitarbeitenden die agilen Methoden direkt ausprobieren zu lassen. Selbst wenn es noch für viele gedauert hat, bis sie auch im Arbeitsalltag agil gearbeitet haben, wollten wir die Mitarbeitenden neugierig machen und ihnen vermitteln, warum es sich lohnt, agil zu arbeiten.

Wie ist es gelungen, auf der einen Seite die noch nicht überzeugten Personen nicht zu verlieren und auf der anderen Seite die Champions des Wandels nicht zu demotivieren?
ZASADZIN: Ich behaupte nicht, dass wir bis heute alle mitgenommen haben. Unsere Regel
lautet vielmehr: Wenn du willst, bist du dabei. Wenn du es nicht kannst, dann lernst du es. Wenn Du es aber nicht willst, dann ist die ING nicht der richtige Arbeitgeber für dich. Wir waren also von Beginn an sehr ehrlich und transparent.

Welche Rolle haben Führungskräfte gespielt?
ZASADZIN: Die vielleicht härteste Maßnahme, die wir in der ersten Phase der Transformation umgesetzt haben, war: Alle Führungskräfte, die nach der Transformation wieder einen Job als Führungskraft haben wollen, müssen sich neu bewerben. Mit der Bewerbung war auch nicht garantiert, dass sie den Job bekommen. Das galt für alle Führungsebenen, d. h. auch Kollegen, die seit 15 Jahren oder mehr im Senior Management gewesen sind. Kam das bei allen gut an? Nein. Aber wir sind immer noch überzeugt, dass es richtig war. Denn in der agilen Arbeitswelt kommt es darauf an, dass Führungskräfte Verantwortung auch an das Team abgeben und Mitarbeitende befähigen. Entscheidend war für uns daher, das richtige Mindset mitzubringen. Gab es für Sie ganz persönlich einen Moment, wo Sie gesagt haben „Okay, die meinen das hier wirklich ernst!?“

STENGER: Es gab zwei Momente, die mich überzeugt haben: Erstens gab es kein Gefühl von Vermarktung, sondern jeder hat daran gearbeitet, das Zielbild, das wir uns gesetzt haben, zu erreichen. Und das galt auch für unseren Vorstand. Als ich gesehen habe, dass auch sie sich auf agile Arbeitsweisen einlassen und mit einem Agile Coach zusammenarbeiten, war für mich klar, dass sie es ernst meinen. Zweitens hat die ING Ressourcen in die Hand genommen, um etwa Agile Coaches einzustellen und diese Rolle im Unternehmen zu stärken So wurde auch jedes Team von einem Agile Coach in der Transformation begleitet, der ihnen wertvolle Tools und Tipps vermittelte.

Welche Entscheidungen in der Transformationsarbeit waren rückblickend die wirksamsten?
ZASADZIN: Die wirksamsten Entscheidungen waren definitiv die mutigsten: Dass sich Führungskräfte neu bewerben mussten, war bis dato ein Novum. Auch stellten wir konsequent Agile Coaches ein oder bildeten interessierte Mitarbeitende zu Agile Coaches weiter. Sicher haben wir auf unserem Weg auch nicht alles richtig gemacht. Aber wir gehen mit Fehlern offen um und verstehen sie als Ansporn, es in Zukunft besser zu machen. So waren wir manchmal bei der Personalauswahl nicht konsequent genug, um primär nach dem Mindset zu gehen.

Welchen Anspruch an Kommunikation und Vermittlung der Transformation hatten Sie
sich gesetzt?

STENGER: Uns allen – und natürlich auch unserem Vorstand – war es sehr wichtig, alle Mitarbeitenden von Beginn an transparent über die bevorstehende Transformation zu informieren. Ich glaube, wir können durchaus behaupten, dass die Beweggründe der Transformation von jedem Mitarbeitenden verstanden wurden. Sicher gibt es aber auch heute noch Kollegen, für die die agile Transformation nicht nachvollziehbar ist. Mehr als 4.000 Mitarbeitende auf die gleiche Weise mitzunehmen ist einfach nicht möglich; muss es aber auch nicht.

Wie spüren Sie schon heute, dass sich die Transformation gelohnt hat?
ZASADZIN: Zum einen durch den Arbeitnehmermarkt. Unsere Bewerberlage hat sich sehr positiv verändert, insbesondere bei Bewerbungen im Bereich IT. Auch die Zusammenarbeit von IT und Business ist besser im Sinne von schneller geworden. Die Zeit der Handovers und langer Prüfprozesse ist vorbei. Und in einigen Bereichen sind wir auch schneller in der Entscheidungsfindung und Umsetzung geworden. Und natürlich die Kultur: Wir sind wesentlich transparenter geworden und das Miteinander-Arbeiten hat einen höheren Stellenwert. Heute lösen wir Probleme zusammen in der Gruppe.

Hat die Transformation Verlierer produziert?
STENGER: Natürlich. Es gibt Positionen, die vor der Transformation sehr stark exponiert gewesen sind, was heute nicht mehr der Fall ist.

ZASADZIN: Ich finde den Begriff „Verlierer“ hier nicht passend, denn in jedem Fall gewinnt jeder, weil er in der Transformation etwas über sich gelernt hat. Was kann man in Veränderung verlieren? Vielleicht persönliche Zufriedenheit oder Macht? Sich aber zu fragen, warum einem das so wichtig ist, ist in erster Linie ein Lernerfolg.

War die Transformation alternativlos?
ZASADZIN: Ja, wir hatten keinen Plan B.

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